Das Zeitalter der Schatten

Cynbel schluckte schwer, angesichts der geplatzten Kooperation und beinahen Eskalation. "Bitte hier entlang! Das ist der schnellste Weg nach draußen!", erklärte Cynbel und zeigte auf eine kleine Tür, die zu einem Tunnel führte, der die Gruppe aus dem Eispalast hinausführen würde, zurück zu den Gebirgspfäden.
"Ich bin wirklichst untröstlich...ich hoffe ich werde alles wieder gut machen können. Ich kann gar keine Worte finden, mit denen sich diese Beleidigungen entschuldigen lassen würden...", redete Cynbel auf die verärgert abreisenden Gäste ein, um den angerichteten Schaden möglichst noch zu begrenzen. Schließlich blieb Cynbel stehen und schickte zwei der Gildenmitglieder mit den Igniern mit, damit sie ihnen die Tür öffnen würden. Zaghaft drehte sich Cynbel zu Cenris um und traute sich nun auch einmal den Drachen finster anzuschauen. "Was fällt euch ein eure potenziellen Verbündeten derart zu verärgern...man sollte euch einen Lausebengel nennen....einen Scharlatan! Was habe ich nicht alles versucht um euch zu befreien und so bedankt ihr Euch also bei euren Rettern!!!! In einem Moment wie diesem würde ich mir wünschen ich wäre damals mit meiner Familie in Septevicus gestorben!!!!", zischte Cynbel.
Schlagartig verstummte er aber, als sich Cenris in voller Drachengestalt vor ihm auftürmte. Wo gerade eben noch der zierliche, junge Mann gestanden hatte, stand nun der Eisdrache vor Cynbel, der die Ausmaße eines mehrstöckigen Hauses hatte. "Hast du es immer noch nötig dich über mich zu beschweren? Geh jetzt besser, Cynbel!!! Wir reden morgen wieder!!!", befahl Cenris, wobei seine Stimme in Cynbels Kopf zu hören war, während der Drache nun damit begann sich in die Lüfte zu erheben und durch seinen Palast zu fliegen.

"Eine Unverschämtheit..." fluchte einer der Ignier, als sie den Palast verließen. Sie hatten in ihre eigene Sprache gewechselt, nachdem sie nicht wollten, dass die zwei Gildenmitglieder etwas von ihrem Gefluche mitbekommen würden.
"Er hat die ehrwürdige Amindaiya beleidigt, ebenso wie den ehrwürdigen Ashtur! Er hätte genauso gut die Feuergöttin - möge sie in Frieden ruhen - beleidigen können! Was bildet er sich ein? Wir haben ihn gerettet, wir haben ihn aus dem Eis befreit, und so dankt er uns?" zischte ein anderer und gegenseitig schaukelte sich die Diskussion hoch, bis am Ende sogar Flüche über Cenris gesprochen wurden. Leichte Flüche, keiner der verbliebenen war wirklich begabt in Sachen der Flüche, weshalb es bei solchen Dingen blieb wie ewigen Alpträumen und Schmoren in der Hölle, sollte Cenris jemals ins Jenseits übergehen.

"Ach verflucht..." schimpfte Cynbel und stapfte wütend davon, nachdem er noch hin und hergerissen zwischen dem Drachen und den Igniern hin und her schaute. War jetzt also doch alles geplatzt? "Das wird sicherlich noch ein übles Nachspiel haben!!! Da bin ich mir sicher!", meinte Cynbel noch laut, bevor er dann wieder die Treppen zurück in die obere Halle hinaufstieg. Der Drache hörte ihm aber sowieso nicht mehr zu, da er schon in luftiger Höhe durch die Halle flog.

Mittlerweile hatten die Ignier wieder die Oberfläche erreicht, wo sie sich nun von den Mitgliedern der anderen Gilde verabschiedeten und wenigstens versuchten, etwas freundlicher zu sein. Noch immer kochte der Zorn in ihnen, stärker als je zuvor. Für einen Ignier, beziehungsweise ein Mitglied der Infernalisgilde, gab es keine größere Unverschämtheit als die Beleidigung des Gildenmeisters oder der Gildenmeisterin. Denn dies bedeutete meist, dass man die Feuergöttin und ihren Gemahl selbst beleidigt hatte - eine Unverfrorenheit in den Augen jener, die die Frau mit der reinen Seele anbeteten. Dementsprechend gestaltete sich die Verabschiedung auch eher knapp, und so bald es möglich war, traten die Ignier die Reise in den weiteren Norden an, denn unterwegs hatten sie von einem Land namens Sura gehört, welches nördlich an Santris grenzte.

"Wo bin ich hier?", fragte sich Shanea, als sie die Augen wieder öffnete. Ihr Schädel brummte gewaltig, als hätte sie eine ganze Woche durchgezecht und die Weinvorräte von ganz Santris in sich hinein geschüttet. Zum Glück für sie konnten sich ihre Augen schnell an die Dunkelheit gewöhnen, die hier an diesem unbekannten Ort herrschte. Die Gitterstäbe ließen keinen Zweifel daran, dass sie in einer Zelle lag. Endgültig sicher war sie sich, als sie die Hand- und Fußschellen bemerkte, mit denen sie gefesselt war. Allerdings waren die Fessel nicht an den Boden angeschmiedet, so dass sie sich in der Zelle noch bewegen konnte. Schnell huschte sie an die Gitterstäbe um nachzuschauen wer sonst noch in diesen Zellen gefangen war.
Nach einer Weile bemerkte sie Sylwyn, der in der Zelle nebenan lag, aber offenbar noch bewusstlos war. In den weiteren Zellen sah sie die Ignier und die anderen Mitglieder von Kavendar, die mit ihr gereist waren. "Tarik??? Bist du wach?", fragte Shanea vorsichtig, da sie sich nicht sicher war ob sie nicht schon beobachtet oder belauscht wurden.

"Neeeeeein." murrte Tarik. "Ich bin tot. Hoffe ich zumindest." Er war schon etwas länger wach, und betrachtete voller Missmut die Ketten um Hände und Füße. Naja, er hatte Glück dass er nicht angekettet war, andernfalls hätte er wohl jetzt nicht auch noch die anderen bemerkt. Auch Menos und Jannis waren alles andere als darüber erfreut, und schon jetzt versuchten sie, sich ihrer Fesseln zu entledigen. "Wo auch immer wir sind, ich will hier raus. Sofort. Ich meine, ich wohne in einem verdammten Vulkan, aber dort ist die Luft alles andere als so vermodert....man könnte meinen hier wäre jemand gestorben. na gut, wahrscheinlich wird es auch so sein..."

Erleichtert atmete Shanea auf, als sie Tariks Stimme hörte, auch wenn sie nur schwerlich etwas in der Dunkelheit erkennen konnte. Und dabei war sie als Mondelfin ja eigentlich gewohnt, bei Nacht sehen zu können. Als Tarik jedoch die Luft ansprach, bemerkte Shanea auch die stickige Luft und den penetranten Geruch von Blut und Leichen. Wo waren sie hier nur gelandet?
Offensichtlich an einem Ort, an dem man sie wohl nicht nur vor sich hin verrotten lassen würde. Woher stammte sonst das Blut?!
"Tarik? Ich glaube wir sind tief unter der Erde.....sehr tief würde ich sogar sagen....in den Zellen von Calum wäre es doch niemals so dunkel. Ich fürchte wir haben ernstzunehmende Schwierigkeiten...", flüsterte Shanea in die Richtung in der sie schwach die Umrisse von Tariks Zelle sehen konnte.

"Wir sind an keinem mir bekannten Ort in Santris. Aber ich bezweifle, dass wir den Kontinent verlassen haben...das würde viel zu lange dauern....aber gut, wir wissen nicht, wie lange wir bewusstlos waren. Es könnte gut sein, dass wir mittlerwiele in Seraphis oder Illiónata sind...." Tarik zuckte mit den Schultern. Er selbst konnte, trotz seines Daseins als Dämon, nur wenig erkennen, weshalb das Einzige, was er wahrnahm abgesehen vom strengen Geruch, nur das Rasseln der Ketten war. "Dass wir ziemlich tief in der Scheiße stecken, dürfte ja wohl jedem hier bewusst sein....wir sind irgendwo im Nirgendwo..."

Gerade wollte Shanea antworten als sie Schritte hörte. Schnell ging sie von den Gitterstäben weg und legte sich hin um keinen Verdacht aufkeimen zu lassen. Wer waren wohl ihre Gefängniswärter? Soldaten eines fremden Kontinents oder doch noch einmal etwas anderes?
Shanea hörte wie die Schritte immer lauter wurden und schließlich wieder verhallten.
Standen die Wachen etwa direkt vor ihrer Zelle? Mit welchem Licht? Nirgends war eine Fackel zu sehen - es herrschte die selbe Dunkelheit wie schon die ganze Zeit. Die Inhaber ihrer Zellen mussten also wahrlich perfekt in dieser Dunkelheit sehen. Als Shanea genauer aus der Zelle schaute, hätte sie vor Schreck fast aufgeschrien. An den weißen Haaren, die unter dem Helm einer der Wache herauschauten, und den spitzen Ohren, bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen. Offensichtlich waren sie den Dunkelelfen in die Falle gelaufen und waren nun deren Gefangene.
"Welche sollen es sein? Welche von den Neuen oder doch lieber die alte Klasse?", fragte eine der Wachen, wobei die Wache anhand der Stimme deutlich als Mann zu identifizieren war. "Die Mutter-Oberin möchte unterhalten werden und zwar gut...sie hatte heute einen schweren Tag, und braucht sehr gute Unterhaltung um nicht wieder den Depressionen zu verfallen. Ich rate dir also mir nur die besten Gefangenen zu geben, damit die Show auch Unterhaltungswert hat. Außerdem will sie etwas Neues sehen - nicht die selben Oldies wie immer!", erklärte die zweite Person, wobei diese eindeutig eine Frau war. Und offensichtlich war sie auch ranghöher als die Person in der Rüstung.

Shanea hätte am liebsten über die Dunkelheit geflucht, aufgrund der sie nur die Umrisse der Personen sehen konnte, aber keine Details. So konnte sie nicht sagen, wer da vor ihnen stand. Dass sie aber offensichtlich jeden Moment einer ranghohen Dunkelelfin zur Unterhaltung dienen sollten, bereitete ihr schon Magenschmerzen.

Auch Tarik hatte die Schritte der Gestalten vernommen, jedoch waren seine Augen weitaus besser an die Dunkelheit gewöhnt als die von Shanea, und so konnte er aus den Augenwinkeln beobachten, wie die Dunkelelfen sich in einigem Abstand von ihren Zellen aufgebaut hatten. Das versetzte ihn jedoch weniger in leichte Panik als die Tatsache, dass sie offensichtlich in einer Art Aufführung auftreten sollten, um die Oberste der Dunkelelfen friedlich zu stimmen? Leicht verzog er das Gesicht bei diesem Gedanken, schluckte aber seine innere Angst hinunter und beobachtete weiter die Dunkelelfen in der Nähe. Fast schon hielt er den Atem an, während er sich auch weiterhin kaum bewegte.

"Natürlich...ich meinte nur....wir haben noch einige erfahrenere Gefangene...die wären vielleicht unterhaltsamer als diese Frischlinge...die halten doch nicht einmal die erste Runde durch!"; meinte der Wächter, der dafür zuständig war, die Sklaven und Gefangenen einzuschätzen. Zumindest wenn er für den Sklavenmeister die Vertretung machte, wie an diesem Tag.

"Umso besser...die ehrenwerte Matriarchin will Blut sehen, da kommen unerfahrene Frischlinge gerade recht...aber vielleicht schickst du doch auch ein paar alte Sklaven. Wenn es soviel Nachschub gibt, brauchen wir nicht mehr alle Alten. Und wenn die Neuen in der Grube zu enttäuschend sind, brauchen wir ja auch Kandidaten für das Häuten. Ich will ganz sicher sein, dass die Mutter heute abend bester Laune ist!", erklärte die Frau und schien schon einmal abzuzählen, wieviele Gefangene sie brauchen würden für das Abendprogramm.

Shanea schluckte schwer. "Grube" und "Häutung" sowie eine "Matriarchin, die Blut sehen will" waren alles Begriffe, die ihr schwere Magenschmerzen bereiteten und die klarstellten, dass die Dunkelelfen unter Unterhaltung wohl etwas anderes verstanden als die Mondelfen.

"Wollt ihr als Drider enden, oder weshalb prügelt ihr so auf eine der Lieblingssklavinnen unserer Herrin ein?", fragte die Frau und warf dem Dunkelelf einen abschätzigen Blick zu. "Den Himmelsmenschen? Mir hatte ihre Durchlaucht gesagt, sie will etwas Neues sehen. Aber wenn sie euch mir hinterher schickt, wird sie wohl ihre Meinung geändert haben. Also...den Himmelsmenschen ebenfalls!"; forderte die Dunkelelfen-Frau an die Wache gewandt.
"Ich hoffe doch die Antimagischen Fesseln halten auch bestens?", fragte sie nach, worauf die Wache deutlich nickte. "Wir haben nur die beste Ware - wir benutzen keine minderwertigen Fesseln", versichterte der Wächter, der die Vertretung für den Sklavenmeister übernommen hatte.

Shanea verfluchte derweil in Gedanken, dass sie im Unterricht der Dunkelelfensprache nicht besonders aufgepasst hatte, weshalb sie jetzt nur bruchstückhaft hier und da ein Wort kannte, aber nicht verstand , worüber ihre "Gastgeber" sich da unterhielten. Sie konnte sich aber schon ausmalen, dass es sicherlich nicht zu ihren Gunsten war.

"Vielleicht sollte man euch auch zum Füttern der Drinnen einteilen - mit euch als Hauptgang, wenn ihr es schon wagt derart mit mir zu sprechen!!", erwiderte Loscivia auf die Art und Weise, wie der Dunkelelf mit ihr sprach.
"Du kannst dich glücklich schätzen, dass du in der Gunst von Ellyaza stehst - dadurch sind mir die Hände gebunden mich zu revanchieren", erklärte die Dunkelelfin noch, doch da war der Drow schon verschwunden.
Da der Dunkelelf wieder weg war, wandte sich Loscivia wieder den Wächtern zu.
"Also ihr habt es gehört - die Neuen und die anderen zuerst in die Grube...und ein paar für die Folterungen. Zum Schluss dann die Himmelsmenschenfrau - als Hauptgang und Dessert gleichzeitig. Wenn das stimmt, was das Schoßhündchen gesagt hat, wird es der Mutter bestens gefallen", veränderte die Elfin die Bestellung erneut.
"Wenn ich dann noch einen Blick auf die Gefangenen werfen dürfte?", fragte Loscivia, obwohl sie die Antwort schon kannte. Selbstsicher stolzierte sie los und ließ ein kleines Lichtlein in ihrer Hand aufleuchten, auch wenn sie kein Licht benötigte um die Gefangenen zu sehen.